julius schittenhelm: quarks - texte

1 Ursprung

2 Relativität

3 Quarks bis Ethik

4 Was unterscheidet uns
von Tieren?


5 Waschküche

6 Homo Sapiens

7 Ozobozo
.

8 Krake

9 Wohin

10 Die Arbeit geht aus

11 Kriminelle Energie

12 Pubertär

13 Ethik

14 Abgesang
.
Ursprung
Der Ursprung allen Seins ein schwarzes Loch!
Was soll man davon halten?
Kein Wort, kein Geist, kein Gott:
ein schwarzes Loch bricht auf
zum Quantensprung, Zeitsprung, Urknall -.

Erst Quantenbrei, Superstring-Nudelmantsche,
- hier fällt die Schwerkraft aus der Symmetrie -,
dann Quarks und Antiquarks
sekundenbruchteillang in wechselnder Vernichtung,
Photonenbrühe das Ergebnis,
fast alles wird zu reiner Energie
und wieder Bruch der Symmetrie:
Ein kleiner Überschuss an Quarks entkommt,
gerade noch genug für unser Universum,
verwandelt sich aus bunter Quark - Gluonensosse
zwei up eins down zum Proton
zwei down eins up zum Neutron
sechs up sechs down zum Heliumkern,
und das war's dann schon:
noch siebenhunderttausend Jahre
bis zum ersten Stern.
Schubidu - aber ja:
Auch Quasare sind schon da,
superschwere schwarze Löcher,
extra hergerichtet
als Kerne kommender Galaxien
Relativität
Relativitätstheorie, Unbestimmtheitsrelation,
Quantenmechanik, Quantenchromodynamik.
Aktives Vakuum: virtuelle Teilchen-Wellen
erscheinen und verschwinden an beliebigen Stellen.

Elektronenwolken im Botenphotonennebel.
Urknall aus Quantenschaum im inflationären
Blasenuniversum. Alles nur Schwingungsmuster
winziger Membranen.
Dazu haufenweise Asymmetrien:
Vage und fehlerhaft das Konzept.
Das ist doch nichts Ordentliches!
Das ist doch eine Frechheit!
Und selbst in der Mathematik:
Unentscheidbarkeiten, Wahrscheinlichkeiten,
Spieltheorie, Chaostheorie, Fuzzylogik:
Pfusch anstatt exakter Wissenschaft!

Was kann man da noch glauben?!
Ein Amateuruniversum ist das!
Ein Dilettantenlaboratorium!
Eine Trial-and-Error-Maschine!
Und was sind wir dann?:

Nur ein zufälliglliges Zwischenergebnis
einer beiläufigen Versuchsreihe in irgendeiner
abgelegenen Waschküche am Rande einer
ganz gewöhnlichen Galaxis.

Eine Art Grundlagenforschung ohne Auftrag,
Thema: der Chemismus von Supernovaschrott.
Gesamtversuchsdauer: neun Milliarden Jahre,
Restzeit: maximal fünf Milliarden Jahre
bis zum Kollaps des Kraftwerks.

Roter Riese -  Weisser Zwerg - Neutronenstern.
Quarks bis Ethik
- ein pseudoquasipopulärwissenschaftlicher Nachtrag zur Evolution.
Denn Ethiken, das wird gerne übersehen, sind das Ende derselben, Quarks jedoch ihre Voraussetzung.

Mit einem gewissen Vergnügen will ich mich daher der offenbar wesentlichsten Frage zuwenden,
der Frage nämlich: Was tun wir hier eigentlich?! 
Ja, der Sinnfrage, die mir mehr eine Frage nach Beschäftigung zu sein scheint.

Betrachten wir einmal unbefangen die sogenannte Geschichte:
Massenschlachten und Heldenepen von Gilgamesch bis Rommel, von Troja bis Verdun,
von Thermopylae bis Stalingrad, vom dreissigjährigen Krieg bis Vietnam, Ruanda, Bosnien, Kosovo.
Gemetzel, Brandschatzen, Meuchelmord, Folter, Vergewaltigung,
das eigentlich menschliche am Heldentum, wird schamhaft verdrängt.
Man wünscht sich ein unschuldig-strahlendes Reckenbild: Lohengrin-, Siegfried-ähnlich.

So ähnlich auch charismieren sich ganz gewöhnliche Hochstapler zu Lichtgestalten, Führern, Fürsten,
Feldherrn, Oberpriestern. Gemeinplätze geraten zur Weisheit. Es folgt der Denkverbotserlass. Terror wird Gesetz
und der heilige Krieg, der gerechte, bricht aus. Der Chef der erfolgreichsten Mörderbande kriegt den Titel "Der Grosse".
Moment mal! Es fehlt noch die Erfindung geeigneter Götter oder eines "Allmächtigen"
oder der "Vorsehung" oder einer anderen virtuellen Instanz, auf die man sich berufen, der man im Ernstfall die
Verantwortung in den Cyberspace rüberschieben kann und die zusätzlich der Gehorsamserpressung dient.

Die Opfer erscheinen als nackte Zahlen: sieben Millionen, zwanzig Millionen, fünfundfünfzig Millionen,
zwei Millionen, sechs Millionen.
Was also ist das?  Griechische Tragödien behandeln das Thema schon. Etwas zu mystisch für meinen
Geschmack; immer mit dem Erinnyenchor hinten. 
Endgültig erfasst und dargestellt hat es wohl erst Shakespeare. Kein Wunder im damaligen Britannien
mit seinen Edwards, Richards und Henrys: Gekrönte Neurotiker und Psychopathen mit reichlich raffgierigem
Niedriglohn-Killerpersonal spielen absurdes Theater.

Aber wir doch nicht mehr!  Aufgeklärt und rational bauen wir Kernkraftwerke und Wasserstoffbomben und werden
das Plutonium hunderttausend Jahre lang von feuerspeienden Drachen bewachen lassen. 
Oder?
Was unterscheidet uns von Tieren?
Was unterscheidet uns von Tieren?
Nicht Imponiergehabe, Herdentrieb und
Brunftgezänk:
Wir latschen nicht auf allen Vieren
das unterscheidet uns von Tieren.

Was unterscheidet uns von Tieren?
Nicht Konstruktionsgrundlage, Antriebsart,
Verfallstermin:
Knapp zwei Pfund Hirn und Starallüren
die unterscheiden uns von Tieren.
Was unterscheidet uns von Tieren?
Nicht Spass noch Spielerei noch
mundgeblasne Volksmusik:

Bigotterie und Missionieren,
grausige Glaubenskriege führen,
das Baggern und das Betonieren,
die Landschaft mit Asphalt sanieren
das unterscheidet uns von Tieren.
Was unterscheidet uns von Tieren?
Nicht Hetero-, nicht Homo-Sex
nein, auch nicht Onanie:

Das Spionieren, Denunzieren,
Helden mit Orden dekorieren,
schon Steinzeithöhlen graffittieren,
zu Neujahr weise Reden führen,
das unterscheidet uns von Tieren.
Waschküche
Jetzt kommen wir zu echter Suppe,
zur Schöpfungssuppe sozusagen,
maskuliniert: zum Suppenschöpfer.
Zu Ursuppe, Urschlamm, Ursumpf
vor dreieinhalb Milliarden Jahren.
Was es auch war: Zum Schöpfen war es super.

Gewitterblitze zucken fahl
Durch dunkle giftige Nebelschwaden.
Vulkane speien Feuer,
Meteore stürzen glühend nieder,
Erdbeben schütteln frühe Kontinente.
Die Urkraftbrühe stinkt und spritzt und brodelt,
an schwarzen Rauchern schleimt sich schwefler Schlunz.
Kein Wort, kein Geist, kein Gott:
Die Horrorwelt als Zufallsgenerator
erzeugt - zerstört - erzeugt
vermehrungssüchtige Riesenmoleküle.

Ein Glibberzeug, komplex vermischt und gierig,
mit falschen Füssen Phosphorsalze schleckend
und an Aminosäureketten spielend,
bis sich vier Buchstaben als Code ergeben:
Da fängt der Glibber an zu leben.

Pfuscht rum an meilenlangen Zeichensträngen
trifft auf den Doppelhelixreissverschluss.
Der Zellkern und der geile Teilungstrick
sind schon der Anfang unsrer Ahnenreihe.
Das ganze Viehzeug des Planeten
ist nach der gleichen Rezeptur gebaut.
Der Unterschied beschränkt sich auf Details:
Statt Vorderbeine Flügel oder Arme
für Meerestiere Flossen eingeplant.
Hox-Gene schalten Wachstum ein und aus.
Mit Fliegen, Spinnen, Würmern noch verwandt,
sind es schon neunzig Hundertstel der Erbsubstanz,
die wir mit Ratten, Hunden, Schweinen teilen.
Vom Menschenaffen trennen uns noch knappe
zwei Prozent.

So hat die Erden-Waschküche
chaotisch rumprobiert,
bis wir nun selbst als vorläufiges Endprodukt
das Management zu des Planeten Wohl
ergreifen können.
Homo Sapiens
Homo sapiens nennen wir das Steinzeitmodell.
Vor hundertzwanzigtausend Jahren fertiggestellt
als Oberjäger für Afrikas Savannen.
Ein ganz natürlich hingepfuschter virulenter Prototyp,
auf dreissig Jahre ultraharte Nutzungsdauer ausgelegt.
Die Vierbein-Konstruktion auf Zweibein umgemodelt
und endgültig mit Greifwerkzeugen
und mit einer affengeilen Denkmaschine ausgerüstet,
als Steuerungsorgan für den globalen Fortschritt.
Seither nichts mehr geändert an Mechanik und Chassis,
auch an der Elektronik nichts, das rächt sich leider jetzt.
Nur bunter ist das Top-Primatenimage noch geworden,
ansonsten Oberjäger halt, dazu oft Oberlehrer,
in vielen Farben rundherum und farblos bloss im Norden.
Ein Oberjäger, leicht beschränkt, bewährt als Gladiator,
als Jogger und als Samurai
und als Kanonenfutter noch in jedem Krieg dabei.
Als Fussball-Radrenn-Biorobot und wie auch olympisch
nur per Dope: Da zeigt sich der Versager!
Auch für den Rest der selbsterzeugten Wahnsinnswelt
trotz affengeiler Denkmaschine nur noch bedingt geeignet,
nicht Stand der Technik wie man sagt,
doch fruchtbar, streng nach Bibel.
Ja, alles aus dem selben Stall und weltweit kompatibel.
Für rechte Rassenwahnverwirrte ist das besonders übel.
Und wo er siedelt wächst kein Gras,
kein Wildtier hat 'ne Chance.
Schluss mit der Evolution, von nun an Manipulation,
das Chaos hat ein Ende!
Homo sapiens nennen wir das Freizeitmodell,
seit hundertzwanzigtausend Jahren fertiggestellt
für Videosafaris auf Afrikas Savannen
und, gut gepflegt, auf achtzig Jahre Nutzungsdauer hochfrisiert.
Ozobozo
Ozobozo heisst das Marstabu
Keiner weiss, weshalb, wozu.
Marsianer sind, das ist nicht neu,
- scheu.

Über einem Korpsstudentenhaus
schwebt 'ne Riesenfledermaus.
Jeder der sie sieht
kauft Knoblauch und  -  flieht.

Talkshows blubbern los vom Geist der Zeit.
Ist es wahrhaftig so weit?
Mit dem Titel 'Du und die Ewigkeit'
liegt jetzt ein Sachbuch bereit.
Aus dem Jenseits quillt ein schriller Schrei:
'Hallo, ich war auch dabei'!
Dann kommt kurz Applaus
und dann nichts mehr
 - aus.

Kürzlich flog ein Drache übers Land,
nein, wohin ist nicht bekannt.
Drin im Drachenbau
läuft die Tages  -  schau.
Neulich Nacht erschien mir ein Vampir
und sie bat mich: 'Beiss mich hier!'
Ich hab nicht im Sinn,
zu zeigen wo  -  hin.

Dinosaurier im Aufsichtsrat,
der Vorstand übt den Spagat.
Ufo landet im Familienbad,
Mannschaft verlangt Krautsalat.

Auf der Leiter hockt ein Papageil
krächzt ein Lied von Brecht - Kurt Weill.
Dann kommt bloss noch Stuss
und drum ist jetzt
- Schluss!
Krake
Ein schlaffer Krake krakte mühsam an Land.
Die Krakenkrawatte am zweiten Tentakel.
Am dritten Geschmeide.
Am vierten Manschetten mit
goldenen Knöpfen
und Lackschuh am fünften und sechsten.
Den Smoking geschmackvoll verteilt
auf all diese Glieder.
Auf hohem Schädel den grauen Zylinder.
Am siebten und achten Arm
das Diplomatengepäck,
im ersten die rauchende Pfeife.
Aha, sagt der kluge Betrachter:
Ein KraKriminaler auf Diplomatenmission!
Vielleicht vom Geheimdienst?
Was will denn der hier?
Misstrauen wächst - und Verleumdung.
Der erste Denunziant erscheint im Hotel,
mit ihm eine Delegation zylinder-
geschmückter Regierungsvertreter,
eifrig mit wirrem Geschwätz und hilflosen
Gesten Verständigung suchend,
Rassenverbindung und Freundschaft,
Frieden und Freiheit auf bebenden Lippen 
- und andere Lügen.

Der Krake, aus welken Lidern reglos
die Szene gramvoll beschauend,
öffnet den hässlichen Schnabel
zu schrillem Gelächter
erbleicht - krümmt sich - zerfällt.
Klebriger Krakenrest, leblos, übler Geruch.
Zinksarg, einschaufeln, zulöten.
Das Diplomatengepäck wird sichergestellt.
Zufällig zugegene Geigerzähler
geraten ausser Kontrolle.
Kiloweise wird waffenfähiges Uran
den Koffern entnommen.
Weltweit Alarm! Gefahr aus dem Meer!
Hochrangige Honoratioren hasten
hochmotiviert zu interkontinentalen
Krisenstabkonferenzen.
Präsidenten kündigen eilig Erklärungen an.
Flottenverbände laufen zu Fahndungsfahrten aus,
Tiefseetauchboote tändeln rund um Atolle.
Der Krake ein Einzeltäter?
Untersuchungsausschüsse beginnen
teilgeschwärzte Akten zu sichten.
Ein Marmorsarkophag wird herangegabelstaplert.
Auf alle Fälle Staatsbegräbnis.
Eine geeignete Hymne wird noch gesucht.
Die Ermittlungen dauern an.
Wohin
Wohin mit dem Plutonium, Plutonium?
Die Arbeit geht aus
Die Arbeit geht aus.
Die Roboter werden sie übernehmen,
die Computer und ihre Nachfolger.
Was machen wir jetzt?
Wir können uns aufs Denken
beschränken,
auf die schönen Seiten des Lebens:
Neugier,  Phantasie,
Forschung,  Philosophie,
die Wissenschaften,
Kunst und Musik
und aufs Geniessen
oder aufs Faul-Herumliegen.
Die Frage ist nur,
wer die Löhne fürs Denken bezahlt,
fürs Geniessen und
fürs Faul-Herumliegen,
und die Renten
für ältere DenkerInnen
und GeniesserInnen
und Faul-HerumliegerInnen.

Wer die Antwort kennt,
soll sie lieber bei sich behalten.
Kriminelle Energie
Welcher Mensch behauptet allen Ernstes
er sei frei von krimineller Energie?
Vorausgesetzt es gäb so was
und wär' nicht bloss ein ausgebuffter
Psychotherapeutenspass
Vielleicht nur zu Gerichtsgutachten
genial für gutes Geld erfunden.
Auf jeden Fall frag' ich:
Gerade die, die den Begriff
so medial im Munde führ'n,
sind die denn sauber, wie?
Nun, meine neue Theorie
erklärt dazu pauschal:
Jeder Mensch hat seine
ganz spezielle kriminelle Energie
und nutzt sie - irgendwie.
Pubertär
Mann hat seine Kettensäge,
Rasenmäher, Schäferhund
Abarth-Auspuff, Vierradantrieb,
Stammtischrunde, Frauen-frei.
Mann ist pubertär:
Wünscht sich ein Gewehr,
geht zum Militär.
Militär ist, wie man weiss,
besonders pubertär:
fährt mit Panzern, Kübelwagen,
Tiefflug-Jets umher,
ganz so als ob bald schon wieder
Krieg zu führen wär.
Farblos geht ins Fitness-Studio,
Kegelclub, Fussballverein.
Hat ein Hautverbrenn-Solarium,
bräunt sich wie ein Farbiger.
Farblos 's pubertär:
mag die wirklich Farbigen
in Wahrheit nicht so sehr.

Mensch ist pubertär:
zeigt sein Auto her, meint,
was denkst du wer ich wär,
wenn nicht mein Blechschwanz wär.
Mensch ist pubertär:
zeigt die Muskeln her, meint,
was denkst du
wer ich ohne Bodybuilding wär.
Wir sind pubertär, alle pubertär:
Schüler, Lehrer, Pensionär,
Midlife-Krisler, Manager,
Philosoph, Politiker,
Wissenschaftler, Preisträger,
Künstler aber auch nicht mehr
als Handy-Angeber.
Wir sind pubertär, alle pubertär:
Wem begegnete denn schon mal
ein Erwachsener?
Ethik
Immer wenn ich " Ethik " höre,
schau' ich abends in die Röhre
und dann weiss ich zweifelsfrei,
Ethik ist da nicht dabei.

Ganze Ethik-Kommissionen
kümmern sich ums Menschen-Klonen.
Und was kommt heraus dabei?
Los geht's mit der Klonerei!

Ethik war zu allen Zeiten
zeitgemäss und Grund zum Streiten.
Zeitgemäss bedeutet auch:
Kurze Zeit nur in Gebrauch.
Nostalgische Ethik-Flausen
widerlegt Freund Grimmelshausen:
Gute alte Zeit, au wei!
Folter, Schändung, Sklaverei!

Ethik unseres Jahrhunderts
ist nicht besser und wen wundert's,
für das Raubtier mit Kultur
ist auch Ethik Luxus nur.
Ethiken gibt's, mal ganz offen,
so viele wie Philosophen.
Jeder hat sich drangemacht
und sich eine ausgedacht.

Mit den Ethiken der Sekten,
offiziellen und verdeckten
wächst noch mal das Angebot,
gültig vor bis nach dem Tod.
Abgesang
Ja, absurdes Theater wird hier gespielt.
Als Bühne dient ausgerechnet die kugelförmige
Oberfläche eines vergleichsweise winzigen
Raumflugkörpers, der - steuerlos - mit dreissig
Kilometern pro Sekunde,
- quasi 90facher Schallgeschwindigkeit - 
im Abstand von 8 Lichtminuten in einer
Raum-Zeit-Falte um seine Heizung herumrast.  - 
Eine Art kosmischer fliegender Holländer.

Das Universum ausserhalb der uns schützenden
Gasblase ist ein Vakuum.
Daher können wir unsre rotierende Basis
nur in geschlossenen Fahrzeugen
mit Raketenantrieb verlassen.
Aufwendig - risikoreich - langsam.

Denn: leider weit und breit kein geeignetes
vergleichbares Objekt.
Nebenbei bemerkt ist auch der Boden unter uns
bloss eine eierschalenähnliche Kruste auf einem
dicken flüssigen Magmatropfen.
Schon der Mond deformiert ihn.
Erschütterungen führen zu Katastrophen.
Aber, anstatt uns sowohl der Gefahren, als auch
unserer kosmischen Bedeutungslosigkeit
bewusst zu sein und so die Schönheit und die
verführerischen Angebote unseres Ambientes
solange wie möglich gemeinsam zu geniessen,
führen wir dieses erbarmungslose und brutale
absurde Theater auf:

Wir-sind-die-Grössten-Theater,
Wir-sind-im-Besitz-der-Wahrheit-Theater.
Nationalstaats-Theater in zweihundert Stücken,
Grenzschutz-Theater mit zweihundert Armeen.
Geheimdienst-Theater, Unterdrückungs-Theater,
Korruptions-Theater und-so-weiter-Theater.
Generation nach Generation:
Ja, zum Glück wird hier gestorben!
Keine tausend Jahre Hitler, Stalin, Honecker.
Diktaturen finden ihr biologisches Ende.
Ideologien, deren Tempelbauten die Kreativität
zahlloser Künstlerdynastien geschluckt und deren
Zölibate Millionen von Hochbegabten an der
Vermehrung gehindert haben, sind da zählebiger.
Ihr Trick ist der gesellschaftliche Druck zur
Frühprogrammierung postnataler Denkmaschinen.
Nachahmungsversuche misslangen im zwanzigsten
Jahrhundert.

Trotz alledem: So ein freundlicher Planet!
Ein wunderbares Spielfeld für fröhliche, fantastische
DaDa-Opern. Ausreichend Personal vorhanden.
Nun - theoretisch bleibt uns ja noch die Restzeit von
fünf Milliarden Jahren bis zum Kollaps des Kraftwerks.

Roter Riese - Weisser Zwerg - Neutronenstern.